Münchner Merkur, Mai 2014


Münchner Merkur, Mai 2014

Mörder und andere Sympathieträger

Helmut Schleichs neues Programm „Ehrlich!“ ist ein schonungsloser Angriff auf Hirn und Lachmuskeln

Der Berater von der Sparkasse, die Bauarbeiter, die schon wieder die Straße aufreißen, der Gastwirt, ja sogar die eigene Familie – es gibt immer mal Momente, in denen ein gezielter Schuss die beste, die sauberste Lösung zu sein scheint. Der Franke, den Helmut Schleich in der ersten Szene dieses Abends im Münchner Lustspielhaus spielt, auf noch fast dunkler Bühne, ist so einer, der immer aus dem Gefühl heraus handelt, ganz direkt, ganz unverstellt. Ein Massenmörder, für den man Sympathie empfinden muss, weil der Kabarettist ihn als armen Außenseiter spielt.

Die so erfrischend pragmatische „Bestie von Doddlbach“ könnte als Prototyp stehen für die Figuren, die Schleich hier unter dem Motto „Ehrlich!“ auftreten lässt. Es wird kein Blatt vor den Mund genommen, es wird gesagt, was Sache ist. Das Implizite des (politischen) Kabaretts – in Schleichs neuestem Streich wird es explizit thematisiert.

Nicht alles lässt sich unter dem Titel „Ehrlich!“ zusammenfassen, dazu ist das Repertoire an unterschiedlichen Typen, die der Münchner souverän beherrscht, einfach zu groß. Doch zwei der bekanntesten Charaktere wurden für das erklärte Ziel, noch politischer zu werden, neu justiert. So ist Heinrich von Horchen, der Gesangslehrer von Jopie Heesters, vom dem Tode nahen Entertainer, der er einst war, zum quicklebendigen, kritischen Historiker mutiert, der die Kulturgeschichte der Spionage referiert, beginnend im alten Ägypten, als die Worte des Pharaos noch eilig mitgemeißelt werden mussten.

Wunderbar, wie Schleich den alten Mann im Zylinder sabbern und stammeln lässt – ein schauspielerisches Kabinettstück, bei dem man sich zwingen muss, auch auf die Inhalte zu hören. Denn von Horchen hat etwas zu sagen, sei es über die pseudo-demokratischen Strukturen in der EU, sei es über das Geschäft mit den Kranken und Alten in Deutschland. Auch FJS ist wieder mit von der Partie, an diesem Monolithen der politischen Parodie hat Schleich seine Kunst, über die deftige Sprache allerlei „Wahrheiten“ unters Volks zu bringen, perfektioniert. Nicht nur die CSU seiner Erben („Worthülsenvollernter“) bekommt ihr Fett weg, auch das weiß-blaue „Mia san Mia“ wird erschüttert, wenn Übervater Strauß das bayerische Selbstbewusstsein als „verkappten Minderwertigkeitskomplex“ auf den Punkt bringt. An Stellen wie diesen könnte man die Weisheit, dass Ehrlichkeit auch weh tun kann, körperlich spüren, ließe Schleichs Virtuosität einen nicht auch schnell alle Brisanz, alle Schärfe des Gesagten weglachen (Regie: Rainer Pause).

Auch abseits seiner De-Luxe-Charaktere liefert das begnadete Bühnentier brillante Studien ab. Da wird am Stammtisch, dem Hort der gepflegten Simplifizierung, übers Gymnasium sinniert, da preist der Präsident eines kaukasischen Fantasiestaats mit schwerem slawischen Akzent die Vorzüge einer Demokratur osteuropäischer Prägung. Und im Schafspelz des etwas anderen
Finanzdienstleister führt Schleich im Plauderton die Idee der „sauberen“ Profitmaximierung ad absurdum.

Wie gesagt – nicht alles fügt sich ins große Ganze ein, dafür schließt Schleich formal, wie er begonnen hat, nämlich mit dem mord(s)lustigen Franken und einer dunkelschwarzen Schlusspointe. Das Ende eines ziemlich schonungslosen Angriffs auf Hirn und Lachmuskeln.

VON RUDOLF OGIERMANN

 


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