Süddeutsche Zeitung, Juni 2014


Süddeutsche Zeitung, Juni 2014

Ehrlichkeit? Bloß nicht zu viel!

Helmut Schleichs neues Kabarett-Programm weckt Geist wie Widerspruchsgeist


Bad Tölz – „Die Presse lügt“, behauptet Veranstalter Wolfgang Ramadan eingangs vor dem voll besetzte Auditorium des Tölzer Kurhauses. Helmut Schleich sei der beste Kabarettist derzeit, hätten die Medien berichtet. Alles Verleumdung: „Der Allerbeste ist er“, sagte Ramadan. Kann es gut gehen, wenn die Vorschusslorbeeren dergestalt ausfallen? Es blieb schließlich immer noch zu beweisen, ob die Latte für die Erwartungen hier nicht zu hoch angesetzt war. Am Bühnenbild jedenfalls hat sich gegenüber Schleichs früheren Programmen nichts gesteigert: Noch immer nur ein Tisch, ein Stuhl, ein Kleiderhaken, an dem das Auge bereits den Zylinder der Figur „Heinrich van Horchen“ erkannte.


Doch gleich die ersten Minuten machen deutlich: Schleichs neues Programm „Ehrlich“ verdichtet nicht einfach nur das alte. Er hat neue Figuren, neue Szenen geschaffen, in denen sich im Laufe der Zeit immer mehr abstruse Geschichten entfalten und Themen geschärft werden. Waren Schleichs Figuren bisher manchmal subtile Antihelden, werden sie nun monströser: Ob als Präsident von Kitchagirsisien, der eine flammende Rede auf den kommenden EU-Beitritt hält, oder als Stammtischbruder mit Doornkat-Schorle, der über Bildung redet.


Da reflektiert etwa die „Bestie von Dottelbach“ darüber, wie es zum Amoklauf kam. Während die Szenen immer schlimmer wurden, schwächt er seine Schuld immer nonchalanter ab: „Der Wirt, das war ja nur ein Querschläger, und der Postbote, der hatte es verdient.“ Gerade die drastische Überzeichnung ist Schleichs Metier. Denn selbst das absurdeste Szenario, das Schleichs Typen entwerfen, hat stets noch genügend Bezüge zur Realität, um komisch, aber auch bedrohlich zu bleiben.


„Jeder will Ehrlichkeit, unbedingt, aber wenn Ehrlichkeit mal so ganz offen zu Tage tritt, dann wollen wir sie ehrlich gesagt auch nicht mehr“, erklärt Schleich zwischendurch den Titel des Programms. „Denn Ehrlichkeit ist ein Minenfeld, und kein Raumkommando weit und breit“. Es komme also im Leben immer drauf an, wie geschickt man die Wahrheit verkaufe: „Wir alle lügen uns folglich mehr oder weniger durchs Leben, wenn wir ehrlich sind. Außer in der Politik, da verlangen wir absolute Ehrlichkeit.


Aber wer vor Wahl sagt, mit mir geht’s bergab, der hat doch schon verloren“, sagt Schleich. Die große Koalition sei auch nicht ehrlich: „Welcher Merkel-Wähler hätte denn den gwamperten Barockengel Gabriel gewollt?“ Apropos, da mischt sich wieder die Figur des Franz Josef Strauß ein: „Die SPD erinnert mich an Christoph Columbus: Wie er losgefahren ist, hat er nicht gewusst, wohin er fährt. Als er angekommen ist, hat er nicht gewusst, wo er ist. Als er zurückkam, hat er nicht gewusst, wo er war, und das alles mit fremdem Geld.“


Wo allerdings von Politik die Rede ist, kann auch van Horchen nicht schweigen, der Gesangslehrer des „jungen Eleven Jopi Heesters“: Spionage, pfui, „aber die hat es immer schon gegeben“. Auch wenn zu Mata Haris Zeiten das Gehörte noch mühsam auf Wachs-Walzen eingeritzt werden musste: „Im Sommer sehr kompliziert, weshalb die Spionage-Saison eigentlich nur von September bis April ging“, weiß der Senior. Auch das ist die große Kunst des Helmut Schleich: Den Zuschauer aufs Glatteis zu locken, ihn zum Lachen an den falschen Stellen zu verführen. Stets muss man auf der Hut sein, nicht einen Satz zu beklatschen, der sich im nächsten Moment als zwiespältig herausstellte.


Etwa zum Demokratieverständnis der EU: „Wenn Jean-Claude Juncker die Hoffnung ist, wie sieht dann Verzweiflung aus?“ Und die Presse schreibe all das nicht, „weil Journalisten heute froh sein müssen, wenn sie überhaupt noch in Redaktionsstuben sitzen dürfen und nicht für Amazon online Rezensionen für WC-Frisch verfassen müssen.“


Ja, da habe man was zu knabbern: „Das kann im Kabarett schon mal passieren. Wer ins Puff geht, muss damit rechnen, dass er nackt ist.“ Inzwischen ist Schleich weit mehr Brandstifter unter den Kabarettisten als Biedermann, und genau das reizt nicht nur die Lachmuskeln, es weckt auch Geist und Widerspruchsgeist. Kein geringes Verdienst für einen Kabarettabend heutzutage, und das ist – ausnahmsweise – mal ganz ehrlich gemeint.

 

VON CLAUDIA KOESTLER


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