Frankenpost, Juni 2016


Frankenpost, Juni 2016

Wie man Schnitzel ins Internet stellt

Helmut Schleich ist ein Kabarettist mit vielen Stimmen und Gesichtern. In Kulmbach übergießt er Päpste, Prolls, Politiker mit Gags aus Gift und Galle.

Ein anderer ginge wahrscheinlich zum Psychiater. Helmut Schleich geht auf die Bühne. Schleich: Das ist die multipelste Persönlichkeit der deutschen Satireszene, der verwandlungsreichste Wandelstern am heimischen Himmel zeitkritischer Hochkomik. Anhaltend mit Gelächter und Applaus adelten am Samstag 300 Besucher der Dr.-Stammberger-Halle in Kulmbach den Künstler und seine Alter Egos für ihren erbitterten Mut zur bärbeißigen Wahrheit.

Ehrlich währt am längsten: Ist das wahr? "Ehrlich", Schleichs neues Soloprogramm aus Gift und Galle, Gags in Serie und dem Geist, der stets verneint, es währt netto hundert Minuten. Eigentlich ein leicht zu schluckender Happen; bei diesem Künstler indes wird eine komödiantische Riesenkröte daraus, die kein Polit-, Wirtschafts-, Gesellschafts- oder sonstiger Ganove so leicht schlucken wird, sofern er nur irgendwie ins Feindbild des Rhetorik-Rabauken passt. Schleich würzt seinen Witz nicht, er pfeffert die Suaden, dass sie wie Chili in den Ohren seiner Opfer brennen müssten: Feuer frei auf die Kanzlerin und auf Erdogan, der sie "im Schwitzkasten" hält, auf vormalige, vorvormalige und gegenwärtige Päpste, auf Afd, SPD und CSU, auf Brüssel, Sachsen und Bayern ...

... Doch halt: Bayer ist Schleich ja selbst, Oberbayer, um der Wahrheit die Ehre zu geben. Indes, Nordbayer vielleicht auch? Als authentisch fränkelnde "Bestie von Dottelbach", zu 38 Jahren Haft verknackt, hockt er anfangs und am Schluss da, ein friedfertiger Amokläufer, der vierzehn Nachbarn und Nebenmenschen niederballerte. Andere besorgen das gleiche Geschäft mit einem Sprengstoffgürtel um den Bauch, raunzt er. "Aber so einer bin ich net." Im Krieg, träumt er, hätte er "vielleicht einen Orden bekommen".

Von den Staatsmännern und -frauen, denen sein hinreißender Hohn und sprachvirtuoser Spott gehört, hat keiner einen Orden verdient. Schon gar nicht die Generalsekretäre der CSU: "Pannenfahrzeuge" allesamt, ob Dobrindt ("Als es hieß: 'Die schwarze Null steht', ist er sitzen geblieben") oder Scheuer: "keine Phrasendreschmaschine - ein Worthülsen-Vollernter".

Kinder, Narren und Betrunkene, sagt man, sagen die Wahrheit. Auch Schleich meint's "ehrlich". Zwar ist er im Vollbesitz erwachsener Vernunft, aber am Ende sind zwei Alter Egos betrunken: Ein großes Glas "Doornkaat-Schorle" verleibt er sich zur Stärkung ein - später als Landesvater aus dem Jenseits, zunächst als schwafelndes Stammtisch-Großmaul. Das teilt süffelnd zweifelhafte Online-Erfahrungen mit ("wie man ein Schnitzel ins Internet stellt"). Zwischendurch mutiert Schleich mittels Zylinder, Stöckchen und weißem Schal zum Uraltgesangslehrer: Heinrich von Horchen heißt er dann, kaut an schwierigen Vokabeln, sprüht dabei reichlich Spucke und bläht sich, besoffen vor Eigenliebe, selbstherrlich zur Rampensau auf. Entflammt wie von der Fantasie eines Startuppers breitet der Lustgreis ein Geschäftsmodell aus, durch das sich Haare und Fingernägel heiliger Väter bereits vor deren Heiligsprechung gewinnbringend als Reliquien einsammeln lassen: der Pontifex als "vatikanisches Nutztier".

Als sein eigenes "Nutztier" pflegt Schleich den unsterblichen Großen Vorsitzenden der CSU prall herauszufüttern: Noch bei jedem seiner furiosen Auftritte darf Franz Josef Strauß fröhliche Auferstehung feiern, lärmend, launig und lateinisch ("postum und ad hoc"), diesmal in erquicklicher Ausführlichkeit. Als Politpopanz aus der Vergangenheit greift "FJS" in die Gegenwartsdebatten ein. Seit 27 Jahren soll er schon unter der Erde liegen? Wenn Helmut Schleich den Trachtenjanker überzieht und das Feixen teuflischer Verschlagenheit aufsetzt, ist er dem schwarzen Wiedergänger wie aus dem ballonrunden Gesicht geschnitten. Tief schiebt er den Hals zwischen die Schultern, wippt auf den Fußballen, fuchtelt mit der Siebziger-Jahre-Brille - der Zwilling als Schreckgespenst. Am Rednerpult watscht der Landesvater a.D. Nachahmer und Möchtegern-Neuerer reihenweise ab, umgibt sich als erfolgsverwöhnter Waffenschieber selbstbewusst mit Gangster-Aura und bekennt sich zum gelebten Rassismus, auf innerdeutsche Art; denn der Bayer braucht keine Ausländer für seine Xenophobie: "Urlauber aus Norddeutschland übernachten bei uns nicht im Gäste-, sondern im Fremdenzimmer."

Damals wie heute: "Das bayerische Kabarett verdankt seine herausragende Stellung der CSU", freut sich Helmut Schleich bitterbös. "Leider verbirgt sich hinter der Maske des Witzes die Fratze der Erbärmlichkeit." Da muss man ihm, wenn man ehrlich ist, lachend recht geben. Aber davon lebt das Kabarett nun mal, nicht das bayerische allein, sondern jedes, das es ehrlich meint.

VON MICHAEL THUMSER


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